Produktbeschreibung
Nach soziologischem Verständnis sind nur Menschen in der Lage – über Denken und Sprache vermittelt – geistig konstruierte soziokulturelle Formen und Welten auszubilden, die im Modus der Normativität stabilisiert und abgesichert werden. Im neuzeitlichen, naturwissenschaftlich geprägten antimetaphysischen Weltverständnis kann die normative Verfasstheit humangesellschaftlicher kultureller Organisationsformen als Distinktionsmerkmal der conditio humana aber nur als Anschlussorganisation an einen naturgeschichtlichen Vorlauf begriffen werden. Normativität als im Fokus soziologischen Erkenntnisinteresses stehend bedarf mithin einer prozessualen, soziogenetischen Rekonstruktion und Begründung aus vorwegliegenden evolutiv entstandenen Bedingungslagen. Lassen sich soziologische und biologische Argumentationsmuster also miteinander vermitteln, ohne zu Reduktionismen zu führen? Diese Aufgabenstellung erfordert einerseits eine kritische Re-Analyse tradierter geistes- und sozialwissenschaftlicher Natur-Kultur-Modelle, andererseits sowohl eine intensive Beschäftigung als auch erkenntniskritische Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen der modernen Evolutionsbiologie. Insbesondere das der normativen Verfasstheit menschlicher Figurationen und gesellschaftlicher Verhältnisse zugrunde gelegte Konstruktivitätsvermögen als Kennzeichen der conditio humana wird von der modernen Evolutionsbiologie äußerst kritisch hinterfragt. Wohl stellt sie die sozialgestalterischen Freiheitsgrade nicht grundsätzlich in Frage, limitiert aber das konstruktive Potential durch Betonung einer evolutionären Kontinuitätslinie, die den Gestaltungsmöglichkeiten in der Ausbildung soziokultureller Organisationsformen strukturelle Vorgaben und Begrenzungen setzt. Diese Arbeit verfolgt das Ziel, die Soziogenese der Normativität als einen evolutionär neu emergierten sozialintegrativen Modus zu erörtern. Dabei sucht sie die den qualitativen Bruch mit evolutionär älteren sozialorganisatorischen Prinzipien betonende soziologische Perspektive mit der die evolutionäre Kontinuität hervorhebenden evolutionsbiologischen Perspektive systematisch zu verknüpfen; auf diese Weise soll der Anschluss an das aktuelle naturwissenschaftliche Wissen hergestellt, gleichzeitig aber auch das Besondere der conditio humana herausgearbeitet werden. In Form eines interdisziplinären und theorienintegrierenden Mehrebenenmodells wird eine Brücke zwischen den heute meist unverbunden nebeneinander existierenden 'Wissenschaftskulturen' geschlagen, um das Verhältnis zwischen naturaler und kultureller Ebene neu zu justieren. Nur so kann die Genese des sozialorganisatorischen Modus der Normativität im Spannungsfeld von Natur und Kultur, von evolutionärer Kontinuität und qualitativ Neuem als ein emergentes Geschehen einer theoriegeleiteten und gleichzeitig empirisch sachhaltigen soziologischen Erklärung näher gebracht werden. In Umsetzung dieser Programmatik werden soziologische, sozialpsychologische, anthropologische, sozialphilosophische, rechtswissenschaftliche, evolutionsbiologische und ethologische Theorien, Modelle und Forschungsergebnisse daraufhin untersucht, wie sie den Übergang von der Natur zur Kultur für die Erklärung der Normativitätsgenese konzeptualisieren, welche Lösungsvorschläge sie anbieten und wo der Erklärungsanspruch jeweils an Grenzen stößt. Für die Rekonstruktion und den Vergleich der Theorieansätze wird dabei von einem Wechselwirkungszusammenhang zwischen biologischen, psychologischen und soziokulturellen Prozessen ausgegangen. Auf diese Art und Weise werden zum einen bedenkenswerte Argumente herausgearbeitet, zum anderen monokausal argumentierende reduktionistische Erklärungen offengelegt und als unzulänglich zurückgewiesen. Inwieweit – so die Kernfrage – wird in den untersuchten Theorien und Modellen dem wechselseitigen Verweisungszusammenhang von Phylogenese, Ontogenese und Kulturevolution Rechnung getragen, welche Faktoren werden als wirkmächtig gekennzeichnet und welche Vorschläge werden für die Verbindung der Ebenen entwickelt? Heuristisch wird die Soziogenese der Normativität als eines neuartigen sozialorganisatorischen Prinzips im Rahmen der von Günter Dux entwickelten prozessual argumentierenden historisch-genetischen Theorie rekonstruiert. Im Verlauf der Arbeit wird dabei die Theoriearchitektur sowohl evolutionstheoretisch als auch durch Argumente aus anderen Theorieansätzen erweitert und modifiziert. Auf der Sachebene wird die Normativitätsgenese damit einem vertieften Verständnis jenseits eines jeweils vereinseitigenden Biologismus oder Kulturalismus zugeführt, was neue Einsichten für die soziologische Analyse humaner Vergesellschaftungsformen wie auch für das menschliche Selbstverständnis nach sich zieht.
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Marke |
Velbrück |
EAN |
9783942393270 |
ISBN |
978-3-942393-27-0 |