Produktbeschreibung
Jeder Prozessschritt bei der Herstellung von Stahlblechen führt bedingt durch Veränderungen in der Phasenzusammensetzung, Textur und Mikrostruktur zu einer Änderung der Materialeigenschaften. Da ein Kaltwalzen der Stähle in vielen Fällen nicht mehr stattfindet, wird das Warmwalzen somit der wichtigste Prozessschritt zur Einstellung der gewünschten Materialeigenschaften des Flachproduktes. Während des Warmwalzens mikrolegierter Stähle mit niedrigem Kohlenstoffgehalt findet bei hohen Temperaturen neben der Umformung und Rekristallisation die Ferrit-Austenit-Ferrit (a-?-a) Phasenumwandlung statt. Diese Phasenumwandlung ist reversibel und führt zu einer Änderung der Textur, der Kristall- und Mikrostruktur. Der kristallographische Mechanismus der Phasenumwandlung kann durch eine spezielle Orientierungsbeziehung beschrieben werden. Darüber wird dann auch die Produkttextur ermittelt. Während der Phasenumwandlung tritt aber Variantenselektion auf, welche dazu führt, dass eine Vorhersage der Produkttextur nicht ohne weiteres möglich ist. Da die Textur entscheidend die Materialeigenschaften mitbestimmt, ist eine genaue Kenntnis der Variantenselektion, und der sie beeinflussenden Parameter, von großer Bedeutung. Ziel dieser Arbeit war es, die entscheidenden Einflussgrößen ausfindig zu machen, die zur Variantenselektion und Texturänderung während der Ferrit-Austenit-Ferrit Phasenumwandlung in einem rekristallisierten mikrolegierten Stahl führen. Da auch in rekristallisierten Stählen Variantenselektion beobachtet wird, ist eine Neu- und Weiterentwicklung der vorhandenen Modelle unumgänglich. Hierzu wurden mithilfe von EBSD-Messungen lokal die erforderlichen Daten von Ausgangs- und Produktorientierung ermittelt und ausgewertet. Diese Untersuchungsergebnisse wurden physikalische Ansätze zur Erklärung der Variantenselektion auf die vorhandenen Messdaten übertragen und überprüft. Es hat sich gezeigt, dass Variantenselektion schon während des Keimbildungsstadiums stattfindet. Die Produkttextur der Phasenumwandlung wird also im Wesentlichen während der Keimbildung festgelegt. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass die Variantenselektion eine Funktion der kristallographischen Textur und der Mikrostruktur ist. Eine möglichst gute Kohärenz der Phasengrenze durch Ausbildung einer Orientierungsbeziehung nach Kurdjumov-Sachs (K-S), zu meist zwei benachbarten Matrixkörnern, führt zu einer Verminderung der Grenzflächenenergie und somit zur bevorzugten Ausbildung dieser Keimbildungsgeometrie. Die Variantenselektion wird nun dadurch verursacht, dass jede Produktorientierung eine bestimmte Wahrscheinlichkeit besitzt ein zweites Mutterkorn mit einer K-S Beziehung zu finden. Die lokale Variantenselektion an Tripelpunkten konnte durch Einbringen der Desorientierungsinformation der Korngrenzebene noch genauer bestimmt werden. Eine geringe Desorientierung zwischen der kristallographischen Wachstumsebene im Ferrit und der Korngrenzebene führt durch eine verbesserte Kohärenz zu einer weiteren Verminderung der Grenzflächenenergie. In diesem Zusammenhang wurde ein neues Keimbildungsmodell für die tripelpunktsnahe Keimbildung an einer Korngrenze entwickelt. Es wurde angenommen, dass am Tripelpunkt eine höhere Keimbildungsrate als an Korngrenzen vorliegt. Die Keimbildung beginnt daher bevorzugt an Tripelpunkten des Gefüges. Die eigentliche Keimbildung findet dann aber an der Korngrenze statt. Dabei wird die Korngrenze bevorzugt, welche die stärkste Verminderung der Grenzflächenenergie des Keimes ermöglicht. Das vorliegende Modell wurde genutzt, um die Variantenselektion einzelner Ferritorientierungen und die vollständige Texturentwicklung während eines a-?-a Umwandlungszyklus eines mikrolegierten Stahls vorherzusagen. Unter Annahme einer regellosen Verteilung der Korngrenzebenen wurde eine erfolgreiche Vorhersage der Variantenselektion und der jeweiligen Produkttextur erreicht.