Produktbeschreibung
Erstmals nach über 100 Jahren wird in der Edition Gellen der heute nahezu vergessene Debütband mit Gedichten der jungen, hoffnungsvollen Stettiner Schriftstellerin Katharina Weise (1888–1975) in einer Neuausgabe aufgelegt. "Aussaat" ist 1908 als 4. und letzter Band der von Carl Busse herausgegebenen Reihe "Neue Deutsche Lyriker" erschienen. Geleitwort von Carl Busse: Die junge Dichterin, die mit den nachfolgenden Versen zum erstenmal vor die Öffentlichkeit tritt, ist im Jahre 1888 zu Stettin geboren, und sowohl die äußere Herbheit der Norddeutschen wie die eines bestimmten Entwicklungsalters prägen sich deutlich in ihren Gedichten aus und geben ihnen Charakter. Es ist alles noch Ahnung und Spiel, Sehnsucht und Traum darin. Eine Vorfrühlingsstimmung voll selig-beklommener Erwartung, ein scheues Ausspähn nach den Wundern, die da kommen sollen. In brennender Ungeduld verzehrt sich auch diese Sehnsüchtige nach dem großen, herrlichen, fern von ihr brausenden Leben; in dem irren „Hinausweh“ der Droste zittert auch sie bei jedem Dampferruf und Eilzugspfiff. Denn von früher Krankheit in zukunftsfrohem Streben jählings gehemmt, kann sie, der die „Arbeitsseiten ausgerissen sind“ wie ihrem alten Schulheft, sich allein die Bresche nach draußen nicht schlagen. So bleibt ihr nur „die Sehnsucht übergroß“; die noch gestachelt und gespornt wird von der Furcht, sie könnte gleich der Freundin sterben, ohne vom Kelch der Freuden gekostet zu haben. In dieser Furcht, mit der übergroßen Sehnsucht sitzt sie nun in ihrer kleinen Kammer, von der sie so nett erzählt, daß nicht einmal ein Ofen darin sei, und wartet wie so viele, wartet und träumt von allem, was noch sein und werden könnte. Und scheu klopft in dem unruhigen Gären des jungen Blutes ihr Herz dem Sehnsuchtsprinzen und Erlöser entgegen – entgegen jener geheimnisvollen Macht, die sie nur erst aus Traum und Fabel kennt, die sie in Seligkeit und Bangen erharrt. Noch hat das angesammelte Gefühl, das in ihr wogt, kein bestimmtes Ziel gefunden, noch liebt es gleichsam nur um der Liebe willen, sucht und tastet, irrt und greift fehl – ein Feuer, das „ohne Nahrung brennt“ und seine Gluten und Kräfte nur aus Ahnungen und Träumen zieht. Die Mutter der Träume, die holde Nacht, ist deshalb auch diesem jungen Menschenkinde über alles lieb, und an ihr mütterliches Herz trägt, ihr offenbart es, was es tagsüber in Scheu und Scham verschließt, unter dem Spott der trotzig sich schürzenden Lippen verbirgt. Im Zeichen des Vorfrühlings, der zagen Erwartung, steht neben der inneren auch die äußere Welt dieser Dichterin. Keine Jahreszeit, die ihr lieber wäre als jene, da sich „Lenz und Winter küßt“; kein Monat, der ihrem Herzen näher käme, als der März. Noch sind alle Knospen geschlossen und festgefugt; noch hat kein heißerer Strahl sie getroffen, keine Glut sie versehrt. Es gibt in dem ganzen Buche kein Sommergedicht. Sommer und Winter, die Zeiten der Reife und Ruhe, sind völlig ausgeschaltet gegenüber der Ahnungs- und Übergangszeit des Frühlings und allenfalls noch des Herbstes. Und wie dem werdenden Jahr wird Katharina Weise auch dem werdenden Menschen vorläufig am besten gerecht – nicht nur sich selbst, sondern auch dem unreif-schüchternen Knaben, der von erster Liebe geschüttelt wird und trotzig fühlen muß, daß er noch nicht für voll gilt. Das Unfertige und Zwiespältige seines Wesens konnte sich die Farben leihen von dem eignen Wesen seiner Schöpferin. Denn auch in ihr ist natürlich noch das Unausgeglichene der wunderreichen Werdezeit, das sich nicht zuletzt in der Form verrät und ausprägt: ihre Verse haben ab und zu noch etwas leise Hartes und Unbiegsames, als hätte sie noch nicht völlig Gewalt über sie. Überhaupt sind ja die hier versammelten Gedichte nicht einer leichten Begabung in seligem Überschwang, sondern einer spröden, „fast in Scham“ abgewonnen. Aber wenn hinter der Sehnsucht eine schöne Lebenserfüllung, hinter dem Vorfrühling ein Sommer steht, so werden die Früchte sich von selbst süßen. Und ich hoffe mich nicht zu irren, wenn ich in dieser Aussaat schon echte Keime und schlummernde Ernten sehe – Ernten, die uns erfreuen werden, falls die ewigen Götter mit Sonne und Wind günstig sind. Friedrichshagen, November 1908 Carl Busse